Artikel aus dem Handelsblatt // Veröffentlicht am: 19. Februar 2021
Wer etwas über den deutschen Immobilienmarkt liest, stößt früher oder später auf das Wörtchen „fragmentiert“. Ein Umstand, den auch die verheißungsvolle Digitalisierung kaum zu lösen vermag. Denn wer sich digitalisieren will, muss häufig auf viele unterschiedliche Lösungen mit unterschiedlichen Datenstandards setzen, statt ein Gesamtpaket aus einer Hand zu erhalten.
„Wir glauben, dass Experten in ihren Fachbereichen bessere und tiefer gehende Lösungen entwickeln können als Entwickler, die sich mit allen Bereichen auskennen wollen. Aus unserer Sicht war es an der Zeit, diese Speziallösungen für die Immobilienwirtschaft einmal auf einer
Plattform zu bündeln“, sagt Marko Broschinski, Geschäftsführer des Plattformanbieters easol, im Gespräch mit Handelsblatt Inside Real Estate. „Um die Abläufe in der Immobilienwirtschaft vollständig und möglichst digital erledigen zu können, brauchen Sie ein Ökosystem, das bereits alle notwendigen Lösungen integriert hat.“
Plattformanbieter wie easol oder Realcube bündeln die Technologien verschiedener Unternehmen und Proptechs für die Immobilienwirtschaft. Technologien für Asset-, Portfolio- und Property-Management, Datenräume, Akquisitions- und Rechnungssoftware und viele weitere stehen quasi als Apps zur Verfügung und können nach Bedarf kombiniert werden. „Das ist wie bei einem Handwerker, der sich je nach Fachgebiet seinen eigenen Werkzeugkasten zusammenstellt“, erklärt Uwe Forgber, CEO und Gründer von Realcube. „Wir haben weit über 400 ProptechUnternehmen allein in Deutschland, die disruptiv denken und hochinnovative Lösungen anbieten. Diese investieren eine Menge Geld, von der Konzeption bis zur Programmierung, um ein sauber aufgebautes Produkt anbieten zu können.“
Die verwendeten Einzellösungen passen die Plattformanbieter dabei bereits selbst aneinander an, sodass die Technologie sofort einsatzbereit ist und Informationen zwischen den unterschiedlichen Lösungen ausgetauscht werden können.
Bei Realcube werden Apps sternförmig angebunden, das heißt, jede von ihnen ist mit der Plattform selbst und nicht mit einer anderen App verbunden. „Die Schnittstelle dafür ist offen zugänglich, sodass sich Proptechs praktisch auch selbst anbinden können. Prinzipiell
unterstützen wir aber bei der Abstimmungsarbeit zu einzelnen Datenpunkten, und reduzieren so den erforderlichen Aufwand erheblich“, sagt Forgber.
easol macht es andersherum: „Wir haben vorkonfigurierte Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen und ein Data Warehouse mit aggregierten Daten, aber nicht einen Data Lake“, sagt Broschinski. Data Lakes sammeln Daten aus unterschiedlichen Quellen in ihrem Rohformat. Easol setzt vorkonfigurierte Schnittstellen ein, „die unterschiedliche Anforderungen der Kunden je nach Ablauf abbilden können“. Bei einem Data Lake sei das nicht so effizient möglich.
Schließlich sollen auch externe Tools eingebunden werden können: „Wenn Sie mit den Tools, die Sie in ihrem Unternehmen nutzen, zufrieden sind, dann müssen Sie deswegen nicht gleich das Tool wechseln. Unsere Lösungen sind zwar schon integriert, aber nicht unflexibel für individuelle Anbindungen von Drittsystemen“, sagt Broschinski.
„In den Gesprächen mit unseren Kunden erfahren wir, was sie noch brauchen. Gemeinsam mit unserer Community entwickeln wir die Softwarelösungen weiter. Wir halten aber auch selbst auf dem Markt Ausschau nach Lösungen, die wir noch nicht auf der Karte haben. Wenn die Lösung eine gewisse Marktreife hat, im Ablauf sauber integrierbar ist und es einen sinnvollen Use Case gibt, dann gehen wir auf die Unternehmen zu.“ Das Ziel sei es, die Plattform stetig zu erweitern, ohne sie zu überladen.
Realcube dagegen bindet Lösungen erst ein, wenn sie ein Kunde aktiv nachfragt. Ist die Software aber einmal angebunden, wird sie auch für andere Kunden im App Store zugänglich gemacht, sodass viele verschiedene Lösungen den Weg auf die Plattform finden.
Dann kann es auch passieren, dass direkte Wettbewerber nebeneinander auf Realcube verfügbar sind, wie Forgber erklärt: „Wir haben eine ganz klare Haltung, dass es bei uns keine Exklusivität gibt. Das beste Produkt entsteht durch Wettbewerb. Einer könnte sich durchsetzen, aber auch die Zweiten und Dritten werden gute Geschäfte machen.“
Doch dafür müsse erst eine zuverlässige und beständige Marktdurchdringung erreicht werden. „Proptechs werden nicht über den Wettbewerb, sondern value-based bepreist – sie leiden nicht unter Dumpingpreisen, sondern unter zu wenig Kunden. In Plattform-Ökosystemen wird man automatisch auf weitere Lösungen aufmerksam gemacht.“ Das sieht auch Broschinski von easol so: „Eine Kooperation hat für beide Seiten Mehrwert. Denn wir haben ja genauso wie die Proptechs das Interesse, ihre Ideen zu etablieren und neue Kunden zu gewinnen.“
Und dafür müsse man mit der Zeit gehen: „Wir haben natürlich das Thema ESG im Auge, auch ohne neue Lösungen einbauen zu müssen. Unser Ökosystem bietet jetzt schon erste Grundlagen, Offenlegungs- und später Taxonomie- und Benchmarkverordnung in ein geeignetes Reporting zu gießen“, sagt Broschinski. „Wir haben viele Ideen, zum Beispiel beim Vermietungsmanagement oder dem technischen Gebäudemanagement. Das müssen wir erst mal auf eine Roadmap mit konkreten Use Cases bringen.“ Broschinski rechnet damit, das Ökosystem noch dieses Jahr mit entsprechenden Lösungen bestücken zu können. „Bis dahin machen wir unaufgeregt und kontinuierlich weiter und hoffen auch weiterhin auf neue zufriedene Kunden.“
Auch wenn das eher nach einem gemächlichen Tempo klingt, in Zahlen drückt sich das ganz anders aus: Lagen die Assets under Management bei der Plattform im Mai bei rund 34 Milliarden Euro, erreichten sie zum Jahresende 2020 bereits 61,6 Milliarden Euro. Ziel für 2021: Die Kundenanzahl verdoppeln. Eigene Entwicklungen strebt das Unternehmen aber nicht an: „Das würde unserer Strategie widersprechen. Es ist wichtig, dass die Lösungen von eigenständigen und innovativen Unternehmen weiterentwickelt werden.“
Auch Forgber von Realcube will nicht selbst entwickeln: „Wir versuchen uns auf den Kern zu reduzieren. Wir bieten eine Plattform für das gesamte Immobiliengeschäft und Möglichkeiten, alle Daten aus unterschiedlichen Anwendungen an einem Ort zu sammeln. Dabei wollen wir nicht die Proptech-Welt dominieren, weil dies der Idee des Wettbewerbs widersprechen würde.“
Seine Ziele für das Unternehmen kann er gut zusammenfassen: „Im deutschsprachigen Raum gibt es etwa 30 Millionen Immobilien, von denen etwa 18 Millionen professionell gemanagt werden. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit unseren Proptech-Partnern circa eine Million davon
zu erreichen. Denn Digitalisierung bringt erst dann den Gesamtnutzen, wenn man sie zu Ende denkt und den Markt mit signifikantem Volumen durchdrungen hat.